Schritt für Schritt in die Digitalisierung für Treuhandunternehmen
Autor: Boris Blaser – Leiter INSTITUT TREUHAND 4.0
Zuerst einmal die beruhigende Botschaft. Die Digitalisierung sollte angegangen werden – dies aber mit Bedacht und einem geplanten, prozessorientierten Vorgehen. Nur weil Digitalisierung in aller Munde ist, heisst das nicht, sämtliche betriebswirtschaftlichen Kenntnisse über Bord zu werfen. Denn dies kostet viel Geld und kann sogar Unternehmen gefährden. Hier die drei wichtigsten Erkenntnisse aus der Arbeit des Instituts Treuhand 4.0 der letzten zwei Jahre, in denen wir viele Treuhandunternehmen auf dem Weg zur digitalen Transformation begleiten durften:
- Es gibt keinen Masterplan: Alle Unternehmen gehen den Weg der Digitalisierung zum ersten Mal. Die einen sind schon weiter, die anderen glauben, sie seien schon digitalisiert, weil sie einen Scanner im Hause haben, und sie wären bereits am Ziel. Wieder andere überlegen sich, ob denn die Digitalisierung überhaupt stattfindet. Für alle gilt gleichermassen: Es müssen erst einmal Basiserfahrungen gesammelt werden.
- Digitalisierung ist für jedes Unternehmen, auch wenn es in der gleichen Branche tätig ist, anders – sie unterscheidet sich aufgrund ganz normaler Abweichungen, beispielsweise der Unternehmensgrösse, des Kundenportfolios oder der Altersstruktur. Zu prüfen ist grundsätzlich, welche Chancen mit einer Veränderung bzw. Transformation möglich sind und welche Herausforderungen diese mit sich bringen.
- Die digitale Transformation muss zum Unternehmen und dessen Kultur passen: Da viele, vor allem auch im Treuhandbereich, die Digitalisierung als Bedrohung von aussen empfinden und andere sie als grosse Chance sehen, ist es zunächst einmal wichtig zu prüfen, wie Sie selbst zur Digitalisierung stehen. Mit einem einfachen Test – dem sogenannten «Digital Readiness Orientation»-Test – auf der Website des Instituts Treuhand 4.0 können Sie sich gratis selber einmal auf den Prüfstand stellen.
Gehen Sie im Grundsatz davon aus, dass die Digitalisierung nicht nur gut oder nicht nur schlecht ist. Um ein klares Bild zu erhalten, empfehlen wir zwei Listen zu erstellen. In der einen formulieren Sie die positiven Argumente (Chancen) und in der anderen die negativen (Bedenken). Als Zweites formulieren Sie dann, wodurch die negativen Bedenken ausgeräumt werden könnten und wie Sie diese als Chance nutzen könnten. Mit solchen Aufstellungen erkennen Sie Ihr weiteres Vorgehen leichter und können aufgrund der Erkenntnisse einen Vorgehensplan entwickeln.
1. Vorbereitung
Die Entwicklung in der Digitalisierung findet in allen Unternehmen statt, und zwar in jeder Branche. Das betrifft auch die Unternehmen, die Sie als Treuhänder betreuen. Zuerst einmal heisst es also, auf strategischer Ebene sämtliche Geschäftsprozesse aufzunehmen sowie die vorhandenen Abläufe des Tagesgeschäfts stetig zu optimieren. Gleichzeitig können Sie sich bereits überlegen, wie Ihr zukünftiges Geschäftsmodell aussehen soll, und damit beginnen, die verschiedenen Optionen zu prüfen. Dies kann innerhalb der Prozesse sein, aber auch im Bereich der eingesetzten Tools. Beides sollte koordiniert erfolgen und die Mitarbeitenden des Unternehmens sollten transparent darüber informiert werden. Die Digitalisierung oder die digitale Transformation betrifft das gesamte Unternehmen; das sogenannte Silodenken könnte das systematische und erfolgreiche Vorgehen innerhalb der diversen Prozesse behindern oder gar verunmöglichen.
Wie sollte man konkret vorgehen?
In der Regel und vor allem auch im Umfeld unserer Branche Treuhand wird der Prozess «von oben» in Gang gesetzt. Die Möglichkeiten für das Vorgehen habe ich im Artikel vom Juni 2018 bereits erläutert. Bilden Sie eine unabhängige Projektgruppe von Lehrlingen bis hin zum Seniorpartner. Bestimmen Sie einen Projektmanager, der die Fäden in der Hand hält. Dies kann auch eine Person ausserhalb des eigenen Unternehmens sein, beispielsweise ein Treuhänder, der mit Digitalisierungsprozessen bereits Erfahrung hat, oder ein Berater, der sich mit der Branche Treuhand auskennt und der mit den Besonderheiten unseres Berufsstands vertraut ist. Ganz wichtig: Alle Beteiligten in dieser Projektgruppe verständigen sich darüber, was sie unter digitaler Transformation verstehen und formulieren die Erwartungen, die sie an das Gesamtprojekt haben. Daraufhin kann schon vorläufig der Zeit und Finanzrahmen für die ersten Massnahmen des Projekts festgelegt werden.
2. Vier Schritte des Digitalisierungsprozesses
Wie schon angetönt, ist es wichtig, nicht alles Wissen der Betriebswirtschaftslehre über Bord zu werfen. Es ist nach wie vor nach den bewährten Prinzipien vorzugehen. Diese sind in diesem konkreten Fall folgende:
- Analyse der Ist-Situation
- Planung der Soll-Situation
- Umsetzung der einzelnen Schritte
- Kontrolle der umgesetzten Teilschritte
2.1 Ist-Analyse
Bei der Analyse beantwortet man die Fragen, wo das eigene Unternehmen steht und an welcher Stelle Handlungsbedarf besteht. Die Analyse dient als Standortbestimmung und der Feststellung von konkreten Aufgaben. Das Institut Treuhand 4.0 hat hierfür den «DCO Digital Company Orientation»-Test entwickelt. Er könnte Ihnen die ersten Schritte in der Analyse abnehmen und helfen, schneller die zweite Phase in Angriff nehmen zu können. Wichtig ist, dass man mit allen Themen sowohl offen als auch schonungslos umgeht. Nur so können Veränderungen angestossen werden.
Das Vorgehen bei der Analyse ist ebenfalls eine bekannte Formel. Im ersten Schritt sammelt man die Informationen, in einem zweiten bewertet man diese – am besten mit einer SWOT-Analyse – und anschliessend leitet man daraus die konkreten Aufgaben ab. Spannend ist aus unserer Erfahrung, dass bei diesem strukturierten Vorgehen auch sehr vieles entdeckt und angegangen wird, dass im Grunde nicht direkt mit der Digitalisierung zu tun hat. Sehen Sie also bereits die Analyse als Chance für eine Grunderneuerung. Vielfach werden auch Punkte wie interne Kommunikation und Kultur angesprochen, die sich im Zuge der Digitalisierung verändern.
Um das Ganze zu konkretisieren, auch hier ein paar Beispiele zu den einzelnen Schritten:
Fragen zur Digitalisierungsstrategie
Welche digitalen Technologien nutzt das Unternehmen bereits? Welche entstehen gerade, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz im Verarbeitungsprozess von Belegen usw. Wie sieht das Geschäftsmodell des Unternehmens aus? Welche neuen Geschäftsmodelle entstehen durch die Digitalisierung, wie zum Beispiel Plattformmodelle? Wo gibt es für den Treuhänder Potenziale für neue Geschäftsmodelle durch ungelöste Kundenprobleme?
Fragen zur internen Transformation
Merkmale der Unternehmenskultur: Wie stark ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle? Nach Neuem? Nach Stärke und Macht? Wie ausgeprägt ist das Silodenken? Wie ist der Stand der Fähigkeiten der Mitarbeitenden hinsichtlich Digitalisierung und Wandel?
Bewertung der Informationen (SWOT-Analyse)
Die gesammelten Informationen werden nach den derzeitigen Stärken und Schwächen sowie nach den künftigen Chancen und Risiken bewertet.
Ableiten der konkreten Aufgaben für die Digitalisierung
Die Analyse schliesst mit der Frage ab, wie das weitere Vorgehen aussieht. Welche digitalen Technologien können genutzt werden? Welche weiterentwickelt? Welchen Bedarf gibt es für die Entwicklung des vorhandenen Geschäftsmodells? Welche eignen sich für neue strategische Optionen? Welche Produkte bleiben erhalten? Welche werden digitalisiert? Welche neuen Dienstleistungen sollten entstehen?
Die Dauer der ersten Phase hängt von der Unternehmensgrösse ab, der Zustimmung zum Prozess, der Einsicht der Unternehmensleitung, der Unternehmenskultur und der Bereitschaft zur Veränderung. Sie sollte wegen der Dynamik der Marktentwicklung und der Technologien nicht mehr als sechs Monate umfassen.
2.2 Planung
Aufgrund der Resultate der Ist-Analyse werden als Lösungsentwurf die Aufgaben festgelegt, die gelöst werden müssen. Kernelemente können folgende Punkte sein:
- Ziele für die Digitalisierung und die interne Transformation setzen
- Auswählen der erfolgversprechendsten Strategien sowie Massnahmen
- Bereitstellen der benötigten Mittel und Festlegen der Massnahmen
Wichtig ist, dass man bei den Zielen genau beschreibt, was mit den einzelnen Schritten erreicht werden soll. Darum muss der Inhalt mit der Frage «Was?», das Ausmass mit der Frage «Wie viel?» und der Zeitpunkt der Zielerreichung mit der Frage «Bis wann?» ausgestattet sein.
Konkrete Ziele in einem mittelständigen Treuhandunternehmen wären für einen ersten Schritt zum Beispiel, dass sämtliche Dokumente in einem Dokumentenmanagement-System innerhalb eines Jahres digitalisiert sein sollen. Ein anderes Ziel wäre beispielsweise, eine interne digitale Bibliothek für den Know-how-Transfer aufzubauen – das wäre gleichzeitig ein Ziel, um sich vom Silodenken freizumachen. Mit den Massnahmen legt man fest, wodurch die Strategien umgesetzt und die Ziele operativ erreicht werden sollen.
2.3 Umsetzung
Bei der Umsetzung ist sehr viel Ausdauer gefragt. Viele der neuen Prozesse und Arbeitsabläufe benötigen bei Ihren Mitarbeitern und Kunden Zeit, um sie in die täglichen Arbeiten einzubeziehen und zu festigen. Nach dem Sprichwort «Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen» benötigt es hier von allen Beteiligten sehr viel Fingerspitzengefühl und vor allem Kommunikationsfähigkeit. Es kann durchaus sein, dass vorgegebene Prozesse nicht so funktionieren, wie sie in der Planung angedacht waren. Das heisst also, dass grosse Flexibilität und Verständnis für das Unternehmen und die Kunden vorhanden sein muss. Ein grosser Erfolg ist es manchmal schon, wenn man nicht wieder von vorne beginnen muss, sondern mit Anpassungen das gewünschte Ziel dennoch erreichen kann.
An dieser Stelle sei das Prinzip der partiellen Einführung erwähnt. Erwarten Sie nicht den «Big Bang» in der Transformationsphase. Führen Sie Prozesse Schritt für Schritt und in verdaubaren Portionen ein. Legen Sie zuerst bei allen Beteiligten den Grundstein für ein gemeinsames Verständnis zur Veränderung und beginnen Sie zuerst mit einer Kundengruppe, die Sie für veränderungsfähig halten.
2.4 Kontrolle
Die Kontrollen in Ihrem Treuhandunternehmen sollen sicherstellen, dass die gesteckten Ziele erreicht werden. Die Kontrolle beantwortet die drei Fragen: was, wann und wie.
Die kontinuierliche Kontrolle der Projektfortschritte und eingeführten Prozesse und Massnahmen sichert, dass Sie bei Abweichungen rechtzeitig gegensteuern können.
Zur Kontrolle gehört zum Beispiel bei der Frage «Wie», dass Sie auch Ihre Kunden miteinbeziehen und sie zum Beispiel befragen, oder Ihre Mitarbeiter dafür sensibilisieren, gewisse Entwicklungen zu beobachten und zu protokollieren. So können weitere Massnahmen und Ziele für die Weiterentwicklung definiert werden.
Als Letztes möchte ich Ihnen mitgeben: Freuen Sie sich auf die Zukunft und nehmen Sie diese selbst in die Hand. Nicht überstürzt und planlos, sondern mit viel Offenheit und Blick für das grosse Ganze. So kann die digitale Transformation in Ihrem Unternehmen gelingen.